SPD Waiblingen

Sarah Händel beim Waiblinger Gespräch der SPD: "TTIP Gefahr für Demokratie"

Veröffentlicht am 24.06.2015 in Pressemitteilungen

Auf die zahlreichen Gefahren die das Handelsabkommen TTIP für die Demokratie mit sich bringt hat Sarah Händel vom Verein „Mehr Demokratie e.V.“ beim Waiblinger Gespräch des SPD-Ortsvereins am 18. Juni 2015 im Forum Mitte hingewiesen. Sie erkannte aber auch positive Seiten der Debatte um das Abkommen: Die öffentliche Diskussion hat ans Licht gebracht, was jahrzehntelang nur von Beamten ausgearbeitet und beschlossen wurde. Es bleibt zu hoffen, dass solche Abkommen künftig nicht mehr ohne öffentliche Aufmerksamkeit beschlossen werden können.

Der Ortsvereinsvorsitzende Jörg Buchholz wies in seiner Begrüßung darauf hin, dass die Mitglieder der Waiblinger SPD sich schon in zurück liegenden Mitgliederversammlungen kritisch zu dem Abkommen geäußert hätten. Auch er sei persönlich sehr skeptisch, obwohl für Sigmar Gabriel die Vorteile überwiegen. Die Debatte habe aber bereits zur Folge, dass die unkritische Behandlung des Abkommens nicht mehr möglich ist. Sowohl im europäischen Parlament als auch im US-Kongress hat es nun kontroverse Diskussionen zu dem Papier gegeben.

Sarah Händel stellte zu Beginn den Verein vor, für den sie sprach. „Mehr Demokratie e.V.“ sei in Stuttgart als Verein für mehr Direkte Demokratie gegründet worden. Lange hätten auch die Mitglieder des Vereins den Handelsabkommen keine Beachtung geschenkt, stellte Händel selbstkritisch fest. Seit aber ans Licht gekommen ist, wie sehr TTIP demokratische Prozesse einschränkt, seien die Abkommen aber ein Schwerpunkt des Vereins. Sie blickte auf die Geschichte des Abkommen zurück. Seit die wichtigsten Verhandlungen der WTO, der Welthandelsorganisation ins Stocken geraten sind, haben viele Staaten bilaterale oder multilaterale Handelsabkommen abgeschlossen. Im 20. Jahrhundert seien solche Abkommen meist auf ein bestimmtes Thema oder auf einzelne Investitionen beschränkt gewesen. Inzwischen wollen sie die ganze Wirtschaft umfassen, was Fehlentwicklungen kaum mehr kontrollierbar macht.

Das Hauptproblem beim „Transatlantic Trade and Investment Partnership“, so der volle Name, sei die Intransparanz, betonte Sarah Händel. Sie sei in den Tagen vor ihrem Besuch in Waiblingen in Brüssel gewesen und habe mit Europaparlamentariern gesprochen. Selbst diese würden den Text des Vertrages vor der Abstimmung nicht bekommen und würden nur grob über den Verlauf der Verhandlungen unterrichtet. Es gebe einen Leseraum, in denen die Mitglieder des Parlaments den Text einsehen dürften, aber sie dürfen nichts aufschreiben und schon gar nichts kopieren. Nur der direkt an den Verhandlungen beteiligte Personenkreis erhält mehr Informationen. Der demokratische Grundgedanke, dass wichtige Entscheidungen öffentlich diskutiert und getroffen werden, werde hier ad absurdum geführt. Dabei habe sie nicht den Eindruck gewonnen, dass die Verantwortlichen den Vertrag gegen den Willen der Staaten gleichsam verschwörerisch organisieren wollten. Das Verfahren zeige vielmehr exemplarisch, wie Regierungsnah die EU aber auch viele westliche Staaten inzwischen arbeiteten. Die Europäischen Regierungen hätten die Vertragsinhalte genau so verlangt, wie sie nun verhandelt werden, inklusive der umstrittenen Schiedsgerichte. Der Europaabgeordnete Michael Reimon von den österreichischen Grünen hat aufgedeckt, dass die Europäer sogar die strengen Auflagen, die die USA für ihre Finanzmärkte nach der Krise erlassen haben, als Handelshemmnis abschaffen wollen. In den Verhandlungen sitzen auf beiden Seiten Menschen, die nur den freien Handel im Blick haben. Eine Seite als die „Schuldige“ ansehen zu wollen, wird der Situation nicht gerecht.

Sarah Händel resümierte, dass die übliche Arbeitsweise auf europäischer Ebene solche undemokratischen Verträge begünstigen. Der TTIP-Vertrag wird vom Handelsreferat der EU ausgearbeitet. Und dort arbeiten Menschen, für die eine neoliberale Haltung ganz selbstverständlich ist. Nur solche Personen hätten sich in den vergangenen Jahrzehnten auf eine solche Stelle beworben. Personen mit einer anderen Meinung würden eher im Umwelt- oder Sozialreferat arbeiten. Diese seien aber an den Handelsverträgen nicht beteiligt. Händel forderte darum eine wirkliche demokratische Verfassung, in der das Parlament die zentrale Rolle spielt. Auch müssten Volksentscheide auf EU-Ebene möglich sein. Das Parlament müsse künftig auch über einzelne Punkte in den Verträgen abstimmen dürfen und den Vertrag nicht nur pauschal ablehnen oder annehmen dürfen. Die einzelnen Staaten müssen den Vertrag gemäß ihren jeweiligen Verfassungen ratifizieren. Ungeklärt ist, was passiert, wenn ein Staat einmal nicht zustimmt. Das sei bisher noch nie passiert. Sie hoffe, dass so ein Fall einmal eine Verfassungsdebatte auslösen werden, die zu mehr Demokratie führe.

Auch bei den umstrittenen Schiedsgerichte sei die Intransparenz das Hauptproblem, meinte die Referentin. Viele Verfahren seien nichtöffentlich und selbst das Urteil werde nicht immer veröffentlicht. Nur bei 11 Prozent der Urteile seien bislang zum Beispiel die Zahlungssummen bekannt. Problematisch sei auch, dass es eine relativ kleine Zahl von Juristen gebe, die in diesen Fällen in wechselnden Rollen als Richter, Ankläger oder Verteidiger beteiligt seien. Tatsächlich gebe es die Schiedsgerichte schon seit 60 Jahren und tatsächlich habe sie Deutschland erfunden. Bis zum Jahr 2000 sind vor solchen Gerichten aber immer nur eine Handvoll Streitfälle verhandelt worden. Erst in den letzten Jahren hat die Zahl der Fälle zugenommen. Das sei eine Folge des gestiegenen Welthandels, aber auch des geschäftlichen Interesses der internationalen Wirtschaftskanzleien. Auch dass Investoren Staaten wegen bestimmter politischer Entscheidungen auf Schadensersatz verklagen können, ist eine relativ neue Entwicklung. Bisher gab es insgesamt 568 Verfahren vor Schiedsgerichten, bei denen in 43 Prozent zugunsten der Staaten entschieden wurde, in 31 Prozent zugunsten der Investoren und in 26 Prozent der Fälle wurde ein Vergleich geschlossen. Wie absurd die Folgen der Schiedssprüche sein können, zeigt ein Beispiel aus Hamburg. Die Hansestadt wurde wegen zu strenger Umweltauflagen vom Energiekonzern Vattenfall erfolgreich verklagt. Die Hamburger lockerten darauf hin die Grenzwerte – mit der Folge, dass nun die EU-Kommision die Stadt wegen Nichteinhaltung der europäischen Grenzwerte verurteilte! Australien hat beschlossen, keinen Schiedsgerichten mehr zuzustimmen, nachdem Tabakkonzerne gegen die australische Antiraucherpolitik geklagt hatten. Allerdings hatte sich Neuseeland durch die Klagen bereits von ähnlich strengen Regeln abhalten lassen. Brasilien zeigt dagegen, dass es auch ohne Schiedsgerichte geht. Das Land lehnt solche Gerichte grundsätzlich ab und kein Investor hat sich bisher davon abschrecken lassen.

Noch wesentlich gefährlicher als die Schiedsgerichte findet der Verein „Mehr Demokratie“ automatische Klauseln, die den Gesetzgebungsprozess im Vorfeld beeinflussen: Durch die „Regulatorische Kooperation“ müssen alle Gesetze, die Wirtschaftsprozesse regeln, ein Gremium durchlaufen, das solche Regelungen wieder herausstreichen darf – und zwar bevor ein Parlament die Vorlage gesehen hat. Die „Standstill-Klausel“ legt fest, dass Privatisierungen nicht mehr zurück genommen werden dürfen. Die „Rachet-Klauseln“ lassen Privatisierungen automatisch Teil von TTIP werden. In den USA haben ähnliche Regelungen dafür gesorgt, dass 85 Prozent der Umweltgesetze vor der Einbringung in die Parlamente wieder entschärft werden. Besonders problematisch ist dabei, dass politische Fragen zu reinen Verwaltungsakten herabgestuft werden und so den Parlamenten und der Öffentlichkeit entzogen werden. Ein Grund dafür dürfte die Arbeit der Lobbyisten sein: 92 der Gespräche zu TTIP führten die Beamten der EU-Kommision mit Vertretern der Privatwirtschaft, nur 4 Prozent mit Sozial- und Umweltverbänden.

Die Ausführungen der Referentin wurden immer wieder durch Fragen und Anmerkungen aus dem Publikum unterbrochen. Auch gut informierte Zuhörerinnen und Zuhörer waren erstaunt, in welchem Ausmaß an der Öffentlichkeit vorbei Regelungen geschaffen werden. Der Tenor war, dass es sich bei diesen Verträgen um eine Selbstentmachtung der Politik handelt, die dringend abgeschafft werden muss. Zum Ende ihrer Ausführungen wies Sarah Händel auf einige positive Aspekte hin. Der Prost gegen den Vertrag hat dazu geführt, dass bisher selbstverständliche Vorgehensweisen und Strukturen kritisch hinterfragt werden. Die Presse hat kritisch über den Vertrag berichtet und auch Redaktionen, die sich für den Vertrag ausgesprochen haben, haben seine Schwachstellen offen angesprochen. Die Erfahrungen der Demokratiebewegungen in aller Welt, zeigen dass Themen nie wieder ganz geheim gehalten werden können, wenn sie einmal öffentlich geworden sind. Darum zeigte sie sich auch optimistisch, dass das Thema bald in ganz Europa kritisch diskutiert wird. Bisher konzentriert sich die Diskussion auf Deutschland und Österreich, aber Demokratiebewegungen in den anderen Ländern sind bereits im Gespräch miteinander.

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