Nordostring-Tunnel – Chance oder Risiko?
14.2.2020
ARGE Nord-Ost: Auch bei einem Nordostring-Tunnel dürfen die Nachteile die Vorteile nicht überwiegen.
Am 20.1.2020 hatte ein Industriekonsortium, bestehend aus den Firmen Bosch, Lapp, Stihl und Trumpf, unterstützt von Daimler, Kärcher und Mahle, der Öffentlichkeit Pläne für einen weitgehend im Tunnel geführten Nordostring vorgestellt. Durch die unterirdische Führung soll vor allem die wertvolle Landschaft geschont werden. Dies hat die ARGE Nord-Ost e.V. stets gefordert und begrüßt es daher sehr, dass nun auch die Industrie das Erholungsgebiet als sehr wertvoll und unbedingt schützenswert einstuft.
Die Industrie bewertet den unterirdischen Nordostring als alternativlos und „einzige zukunftsgerechte und umweltverträgliche Lösung“.
Sieben führende Industriebetriebe aus dem Raum Stuttgart wollen, dass für die Schonung der Grüngebiete eine Milliarde Euro zusätzlich ausgegeben werden. In der Tunnel-Studie steht hierzu wörtlich: „Die Trasse unter die Erde zu legen, wäre an dieser Stelle (Schmidener Feld und Langes Feld) die einzige zukunftsgerechte und umweltverträgliche Lösung.“ Damit lehnen die Planer und Initiatoren der Tunnel-Studie den oberirdischen Trassenverlauf klar ab, was erfreulich ist. Aus diesem Grund hat sich die ARGE gründlich mit den vorgeschlagenen Tunnel-Plänen beschäftigt. Wir vergleichen den Tunnel aber nicht nur mit dem oberirdischen Nordostring, sondern mit der Situation heute ohne Nordostring.
Der unterirdische Nordostring verursacht weniger zusätzliche Landschafts- zerschneidung und Verlärmung als der oberirdische. Allerdings nicht überall.
Auch wenn ein Tunnel eine deutliche Verbesserung gegenüber der ursprünglichen Planung ist, erzeugt er immer noch erhebliche Zusatzbelastungen. Gerade in dem für die Naherholung wichtigen Bereich zwischen Kornwestheim und Zazenhausen (Zazenhäuser Grund) soll auch bei der Tunnelvariante die Trasse oberirdisch bleiben. Folglich würde dort die Feldflur erheblich zerstört und der Verkehrslärm durch den Nordostring würde große Erholungsflächen sowie Wohngebiete in Kornwestheim und Zazenhausen zusätzlich verlärmen.
Auch der unterirdische Nordostring zerstört wertvolle Äcker.
Der Ansatz der Planer, durch die Tunnellösung die wertvollen Ackerflächen zu schonen, ist ehrenhaft. Aber auch wenn es auf den ersten Blick anders aussieht, der Nordostring-Tunnel würde ebenfalls viele wertvolle Ackerböden zerstören. Überall wo oberirdisch gebaut wird (offene Bauweise oder Einhausung) bestünde die Gefahr, durch unsachgemäßen Bodenaus- und -einbau das fruchtbare Bodengefüge auf Jahrhunderte zu vernichten. Dies trifft auch für alle Bereiche zu, in denen das Gelände an den Tunnelverlauf so angeglichen werden müsste, dass weiterhin Ackerbau darauf möglich wäre. Zudem ist die mögliche Erdüberdeckung an vielen Stellen zu gering, um wieder die ursprüngliche Funktion herzustellen.
Die Planer haben mit dem falschen Verkehrsmodell gerechnet.
Im Rahmen des Regionalverkehrsplans hatte der Verband Region Stuttgart (VRS) 2016 eine Verkehrsprognose „ohne Nachfrage“ veröffentlicht, in der ein wesentlicher Anteil des Verkehrs fehlte: der durch neue oder breitere Straßen entstehende Zusatzverkehr. Auf die Kritik der ARGE hin hatte der VRS ein Verkehrsmodell „mit Nachfrage“ berechnet, in dem der Zusatzverkehr aufgeführt war. Gerade im Falle des Nordostrings wäre dieser erheblich, der Nordostring würde mit Abstand den meisten Zusatzverkehr aller Straßenplanungen in der Region Stuttgart erzeugen. Die nachgelieferten Verkehrszahlen des VRS bestätigten dies. Dass die Planer der Tunnel-Studie von PTV nur die Verkehrszahlen ohne diesen induzierten Verkehr bekommen haben, ist unverständlich. Das Büro Obermeyer unterschätzt dadurch die Verkehrsstärken, zusätzliche Belastungen fallen zu gering aus, während Entlastungen überschätzt werden. So kann man keinen Tunnel planen, der dem zukünftigen Verkehrsge- schehen standhalten soll. Selbst das Bundesverkehrsministerium geht von 63 Mio. zusätzlichen Fahrzeugkilometern je Jahr durch den Nordostring aus.
Auch der Nordostring-Tunnel erzeugt neue Verkehrsprobleme, ohne alte zu lösen.
Die verkehrlichen Auswirkungen eines unterirdischen Nordostrings wären genauso schlecht wie die eines oberirdischen. Weder können der Neckarübergang bei Remseck noch die Ortsdurchfahrt von Hegnach wesentlich entlastet werden. Die hochbelastete Stuttgarter Innenstadt (Talkessel) würde überhaupt nicht entlastet, der unterirdische Nordostring wäre kein Beitrag zur Luftreinhaltung in Stuttgart. Er hätte aber alle negativen verkehrlichen Auswirkungen wie der oberirdische. Er würde das Verkehrsaufkommen nördlich von Stuttgart stark ansteigen lassen und böte für den Fernverkehr eine neue weiträumige Ost-West-Verbindung zwischen Bayern und dem Rheintal. Das heute schon verkehrlich stark belastete Remstal würde noch stärker belastet. Eine durch den Nordostring-Tunnel bedingte Verkehrsverlagerung von den Autobahnen in das Remstal und den Stuttgarter Norden würde die Verkehrs- probleme hier verschärfen. Somit wäre der in der Tunnel-Studie vorgelegte Entwurf kein Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.
Die ARGE Nord-Ost lehnt den unterirdischen Nordostring ab, da auch ein Nordostring- Tunnel wesentlich mehr Probleme verursacht als er lösen kann.
Würden die 1,2 Mrd. Euro, die der Nordostring-Tunnel mindestens kosten würde, in den Öffentlichen Verkehr oder den Rad- und Fußverkehr investiert, könnte ein erheblicher Anteil des Kfz-Verkehrs auf den Umweltverbund verlagert werden. Das wäre nicht nur gut für das Klima, sondern würde auf den vorhandenen Straßen auch den Platz schaffen, damit der notwendige Verkehr wieder zuverlässig fahren könnte.
Joseph Michl, Vorsitzender der ARGE Nord-Ost, zieht daher folgendes Fazit:
„Der Ansatz der Initiatoren der Tunnel-Studie ist ehrenwert, und was den hohen Wert der Landschaft und unsere gemeinsame Verantwortung dafür angeht, stimmen wir mit ihnen überein. Wir müssen aber sehen, dass der Planungsraum heute noch weitgehend unzer- schnitten ist und deshalb der Nordostring-Tunnel keine Heilung einer Wunde darstellt. Es wäre andersherum: Zwei heute noch intakte und wenig belastete Grünräume würden durch den verkehrlich schädlichen Nordostring zusätzlich belastet. Auch wenn ein Tunnel in Bezug auf den Landschaftsschutz unzweifelhaft besser wäre als eine oberirdische Trasse, so würde er doch gegenüber dem Stand heute viele neue Belastungen erzeugen. Aus dem Grund lehnt die ARGE die Nordostring-Tunnelpläne in der jetzigen Form ab.“
Pressemitteilung: https://www.spdwaiblingen.de/dl/20200214-PM-zum-Landschaftsmodell-Nord-Ost-Ring-2.pdf